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k t u e l l
r ü
c k b l i c k
Zur Eröffnung der Ausstellung von
Mauricio Escobar in der Tufa Trier (22. August 2008)
Der Weg zur Kunst ist immer ein anderer. Das gilt für
Künstler wie Betrachter. Als ich Mauricio Escobar kennen lernte,
bedienten wir uns zunächst einer anderen Kunst als Mittler. Mauricio
Escobar ist Kolumbianer. Kolumbien das ist für mich das Land von Gabriel
García Marquez. Nachdem wir die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht
hatten, kamen wir denn auch sogleich auf das Werk des
Literaturnobelpreisträgers zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass wir
nicht nur die gleichen Bücher gelesen hatten, sondern sie auch auf die
gleiche Weise schätzten mit den gleichen Zu- und Abneigungen. Und
plötzlich schien mir dieses Land Kolumbien so wie es García Marquez
darstellt in Mauricio Escobar vor mir zu stehen: poetisch, gleichermaßen
sinnenfroh wie tiefgründig und voller Lust am Leben Als wir dann im
Gespräch die erste Grenze überschritten hin zu Mario Vargas Llosa, dem
großartigen Peruaner, der gerade ein Buch über Gauguin geschrieben hat,
da hatten wir schon so viele Seile geworfen, dass die Brücke über den
dunklen Graben der Fremdheit bequem zu begehen war.
Seit ein paar Wochen ist Mauricio Escobar im Rahmen
des Kultursommers und des Tufa Festivals in Trier „Artist in
Residence“. Was besagt, dass er als Gast der Tufa hier eine zeitlang
lebt und arbeitet.
„Deconstruction und Construction“ ist der große
Oberbegriff seiner Arbeit. Was wörtlich übersetzt „Abbau und Neubau
heißt“, meint im Grunde nicht anderes als Goethes berühmtes „Sei und
Werde“. Das schließt auch jene Lust am Abenteuer ein, am immer neuen
Bild und der immerwährenden Bereitschaft zu jenem Neuanfang, von dem
Hermann Hesse erkennt, dass er uns leben hilft und uns schützt vor
innerer Vergrauung und Tod im Leben.
„Deconstruction und Construction“ – die beiden
Gegensätze, die sich bedingen, wollen sie sich am Ende zum neuen Ganzen
einen, sind auch als Lebensprinzipien von Mauricio Escobar zu erkennen.
Geboren ist er 1959 in Bogotà der kolumbianischen Hauptstadt, dort hat
er zunächst an der Kunstakademie studiert.
Von Bogotà ging es zum Studium nach Paris. Heute lebt
Mauricio Escobar in der französischen Hauptstadt und in Amsterdam. Als
Wanderer zwischen den Kulturen ist er zum Weltbürger geworden, dessen
Werk die heimatliche Prägung mit der Erfahrung europäischer Kunst und
Kultur zu einer eindrucksvollen Symbiose eint. Um Dekonstruktion und
Konstruktion zum Neuen zu einen, braucht es Leben. „Pulsion de vie“
heißt der andere Titel des Arbeitsprozesses von Mauricio Escobar.
Sigmund Freud hat das als Lebenstrieb übersetzt. Mir persönlich ist das
eine zu lineare Übersetzung. Ich finde in der künstlerischen Arbeit muss
beides fühlbar sein: der zündende, Impuls gebende Funke und der
beständige Puls des Lebens. In Mauricio Escobars Arbeit ist beides zu
spüren.
Leben das kommt für Mauricio Escobar vor allem aus
der Natur. Aus der Natur der eigenen subjektiven Empfindung wie aus
jener, die uns alle umgibt, der Erde, dem Meer, dem Himmel, den
Elementen. Der Künstler selbst ist Teil dieses Kraft- und Leben
spendenden Kosmos. Hinweise auf diese Leben spendende Natur finden Sie
in allen Arbeiten Escobars. Er selbst sagt: „Natur und Leben finde ich
in allem, was mich umgibt, selbst im Rost des Eisens, der mir Alterung
aber auch Reife signalisiert“.
Escobar steht damit in einer langen Tradition, die
vom heimatlichen Natur Erlebnis über die Romantiker bis hin zu Joseph
Beuys und Jannis Kounellis reicht aber auch zu den niederländischen
Meistern. Als ich Mauricio Escobar das erste Mal in seinem Atelier auf
Zeit hier in Trier besuchte, hatte ich das Gefühl mich in einer Mischung
aus dem Beuys Raum der Stuttgarter Staatsgalerie und einer Kounellis
Installation wieder zu finden. Schon damals ist mir Escobars
eindrucksvolle Fähigkeit zur Bildfindung aufgefallen, sein Talent, in
Bildern zu sehen und in jedem Bild unzählige neue zu entdecken. Nicht
nur Mauricio Escobar auch Goethe hat übrigens in der Kunst die Natur
gesucht. In seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit schreibt er,
dass es zu diesem Findungsprozess einer langer Erfahrung der
Bildbetrachtung bedürfe.
Hier in Trier arbeitet Mauricio Escobar mit Tüchern
als Bildträgern. Das ist dem Ort, der alten Tuchfabrik angemessen. Die
Tücher sind freilich auch ein schlüssiger Werkstoff in der
Werksgeschichte des Künstlers. Für seine künstlerische Entwicklung ist
es ganz wichtig, dass sich Escobar nicht allein als Maler ausbildete,
sondern sich auch immer mit der Gestaltung von Textilien und ihrer
Stofflichkeit auseinandersetzte. Die fühlbare fassbare Qualität seines
textilen Materials, seine Eigenschaften sind ganz entscheidende Aspekte
in Mauricio Escobars bildkünstlerischer Auseinandersetzung und seiner
Bildsprache.
Sie kennen bereits die Tücher draußen, die wie ich ja
schon geschrieben habe, den Bau öffnen und ihn mit Himmel und Erde
verbinden.
Einen weiteren Höhepunkt erreicht Mauricio Escobars
künstlerisches Spiel mit Tüchern ( Spiel ist es schließlich auch, ist
doch die Lust am Spielen ganz entscheidend Teil des Lebenstriebes wie
der Kunst ) in der Rauminstallation dieses Abends. Als Beitrag zu
Dekonstruktion und Konstruktion hat er hier eine Art Zeltstadt
aufgebaut, die mit ihren lianenartigen Streifen und ihrem sanften Licht
wie das geheimnisvolle Innere eines tropischen Regenwaldes anmutet. Der
Wirklichkeit des Tufa Baus hat Mauricio Escobar die Wirklichkeit seiner
Vorstellungswelt als Konstruktion aus Folien und Eisenstreifen
eingefügt: zwei Wirklichkeiten, die sich gegenseitig durchdringen. Als
dritte Wirklichkeit muss sich mit diesen beiden die des Betrachters
verbinden, die seiner eigenen Vorstellung und Erfahrung, seines Fühlens
und Sehens und den Bildern, die daraus entstehen.
Das Verhüllen und Enthüllen ist eines der ältesten
Themen künstlerischer Praxis. Wir erinnern uns an Schleiertanz, den
gebauschten oder halb geöffneten Vorhang, den Blick durchs verhangene
Fenster. Verhüllen und Enthüllen das bedeutet gleichermaßen Offenbarung
und Geheimnis, Willkommen und Abschied, Hoffnung und Resignation.
Mauricio Escobar ist ein hervorragender Choreograph seiner Folien und
Tücher. Er versteht sich auf ihre Gesten, ihre feinsten Bewegungen und
kleinsten Lebenszeichen, ihr Rieseln und Rauschen, ihr Zittern und
Vibrieren. Gekonnt und höchst subtil führt er das Licht. Auch hier
verbindet er innen und außen, setzt den Wind, Tages -und Kunstlicht und
sogar den Rhythmus der Musik ein. Wer sich darauf einlässt, wird am
Ende im Rauschen der Folie, in ihrem Flüstern und leisen Wehen, den
Flügelschlag der eigenen Seele hören. Er wird im Zauber des Lichts das
eigene innere Leuchten erkennen. Die Bewegung, die Poesie, der Grenzgang
zwischen außen und innen, die Zusammenschau von Wirklichkeit und
Imagination: das sind die wesentlichen Elemente von Mauricio Escobars
Arbeit.
„Pulsion de Vie“: im Pulsschlag seines Schaffens,
im Schleiertanz seiner Installation spüren wir das eigene Leben
pulsieren. Wir spüren die Kraft zum Aufbruch aus unserer angestammten
Bilderwelt in die neue, unbekannte, lockende Bilderwelt des Künstlers.
Wenn es gut geht, wird daraus ein Erlebnis unserer ganz eigenen
Dekonstruktion und Konstruktion.
„Was wären wir ohne den Beistand dessen, was nicht
ist?“ – das Wort von Paul Valéry stellt Mario Vargas Llosa seinem
Gauguin Roman das „Paradies ist anderswo“ voran. Besser kann man die
lebenswichtige Bedeutung der Kunst kaum fassen, auch nicht die von
Mauricio Escobar.
Eva-Maria Reuther (Freie
Journalistin)
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